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31.01.2018

Fachtagung zeigt Hilfen für Kinder von psychisch kranken Eltern auf

Die Mutter sprach fast nichts mit ihrem Kind. Doch manchmal, wenn auch selten, fielen ein paar Worte. Sie berührte ihr Baby kaum. Doch auch das geschah mitunter. Ein einziges Mal lächelten sich Kind und Mutter innig an. Dieser „Magische Moment“ wurde während einer Hilfsmaßnahme mit der Videokamera eingefangen. „Immer wieder sah sich die Mutter diesen Ausschnitt an“, so der Psychiater Dr. Michael Hipp beim KoKi-Fachtag des „Netzwerks frühe Kindheit“ zum Thema „Familien mit psychisch kranken Eltern“.

Im vollbesetzten Tagungsraum des Würzburger Landratsamts informierte der Psychiater aus Nordrhein-Westfalen über einhundert Fachkräfte aus Stadt und Landkreis darüber, was es für ein Kind bedeutet, mit einem seelisch kranken Elternteil aufzuwachsen. Diese Kinder werden um etwas für sie Essenzielles betrogen: Sichere Bindung. Dies kann fatale Folgen haben.

 

Sichere Bindung in der Kindheit essenziell

Wer in den ersten Lebensjahren keine sichere Bindung erfährt, schwebt in der Gefahr, später selbst psychisch zu erkranken. Das liegt daran, dass sich die Nervenzellen des reifenden Gehirns unter diesen Umständen nicht „normal“ verschalten. Das Lebensgefühl von Menschen, die als Kind permanent Angst ausstehen mussten, ist deshalb auch im Erwachsenenalter oft von Angst geprägt.

„Wir müssen diesen Kindern im ersten Lebensjahr unmittelbar helfen, denn wir stehen unter großem Zeitdruck“, appellierte Hipp. Denn je mehr Zeit das Kind ohne Unterstützung mit dieser Mutter verbringt, umso größer sei die Gefahr, dass es traumatisiert wird.

Interventionen, die mit Videotechnik arbeiten, sind Hipp zufolge besonders gut geeignet, um seelisch kranken Müttern mit geringer Erziehungsfähigkeit zu Verhaltensänderungen zu motivieren. Diese Mütter, die meist großes Misstrauen gegenüber anderen Menschen haben - nicht zuletzt gegenüber Fachleuten aus dem Hilfesystem - lernen hierbei an sich selbst. Wobei ihnen vor allem am Anfang der Maßnahme jene Situationen wiederholt gezeigt werden, in denen sie gut mit ihrem Baby umgehen.

An vielen Beispielen zeigte Hipp auf, warum Sozialpädagogische Familienhilfe (SPFH) in Familien mit psychisch kranken Müttern oft wenig Erfolg hat. Die Mütter erwarten dem Leiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes (SpDi) Hilden zufolge konkrete Unterstützung und spürbare Entlastung: „Stattdessen erhalten sie oft

Arbeitsaufträge.“ Die Familienhelferin fordert sie zum Beispiel auf, mit dem Sohn zur Logopädie zu gehen und die Tochter impfen zu lassen. Die ohnehin überforderte Mutter versteht die Welt nicht mehr: Warum wird sie noch mehr belastet? Sie verweigert sich den Anweisungen. Was Konflikte programmiert.

 

Trauma der Mütter macht auch die Kinder krank

Den seelisch erkrankten Müttern, die zu ihm in den SpDi kommen, erläutert Hipp, dass die von ihnen geschilderten Angst- und Wutgefühle, aber auch die Unfähigkeit, Freude zu empfinden, auf ein Trauma zurückzuführen sind. Viele dieser Frauen bestätigen, dass ihre eigene Mutter sich nie wirklich um sie gekümmert hat. Teilweise wurden sie in ihrer Herkunftsfamilie geschlagen. Nicht wenige Frauen schildern Missbrauchserlebnisse. Um sich abzulenken, schauen sie phasenweise exzessiv fern oder kaufen sich im Internet Dinge, die sie sich nicht leisten können. Viele dieser Frauen betäuben sich außerdem mit Alkohol, Medikamenten oder Drogen.

Hipp klärt die Mütter darüber auf, dass sie aufgrund ihrer Erlebnisse in der frühen Kindheit seelisch krank wurden. Die schlimmen Gefühle, die vor allem dann hochkommen, wenn sie mit stressigen Situationen fertig werden müssen, wenn sie sich einsam fühlen oder wenn sie plötzlich völlige Ruhe haben, würden auch niemals von alleine verschwinden. Doch durch eine Traumatherapie sei es möglich, dass sie nicht mehr so oft und nicht mehr derart intensiv empfunden werden.

 

Bei Bindungsstörungen helfen nur langfristige Hilfen

Wenn Mütter an Depressionen, Persönlichkeitsstörungen, psychosomatischen Problemen oder Suchterkrankungen leiden, sind laut Hipp langfristige Hilfen nötig. Lediglich ein Jahr Sozialpädagogische Familienhilfe zu verordnen, greife viel zu kurz. Wichtig sei bei der Unterstützung dieser Familien vor allem, dass die verschiedenen Hilfsangebote ineinandergreifen - was im derzeit separierten Hilfesystem aber nur schwer zu verwirklichen sei. Besonders schwierig ist es laut dem Psychiater, Kooperationen zwischen der Erwachsenenpsychiatrie und der Kinder- und Jugendhilfe anzubahnen.

Schließlich sei mehr Aufklärung über die Bedeutung einer sicheren Bindung notwendig. „Wir müssen statt in Banken in Bindung investieren“, appellierte Hipp.

Er selbst habe in seiner Ausbildung zum Psychiater nie etwas zum Thema „Bindung“ gehört. Aber auch Mitarbeiter von Allgemeinen Sozialdiensten hätten teilweise „keine Antennen“ für das Thema Bindungsstörung. Laut Hipp gibt es außerdem ein Wissensdefizit bei Familienrichtern. All dies führe dazu, dass es nach wie vor reiner Zufall sei, ob das Kind einer seelisch kranken Mutter angemessene Hilfe erhält.

 

Kooperation von Stadt und Landkreis Würzburg

Organisiert wurde die Fachtagung vom Netzwerk frühe Kindheit - KoKi aus Stadt und Landkreis Würzburg. Die KoKi ist Ansprechpartner für alle werdenden Eltern und jungen Familien mit Kindern bis 6 Jahren in belastenden Lebenssituationen.

Sie berät, koordiniert und unterstützt so früh wie möglich, um Überforderungs-situationen rechtzeitig entgegenwirken zu können. Darüber hinaus bietet die KoKi Frühe Hilfen (z.B. Familienhebammen, Familienpaten, etc.). Die Beratung ist kostenfrei, freiwillig und auf Wunsch auch anonym.

KoKi Landkreis Würzburg, Christine Dawidziak-Knorsch, Bianca Wolf, Barbara Hofmann-Grande, Tel. 0931 8003-332, -139, -387, Mail: koki@lra-wue.bayern.de
KoKi Stadt Würzburg, Tanja Roß, Tel. 0931 37-2721, Mail: koki@stadt.wuerzburg.de