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27.01.2020

Frauen, wagt mehr Politik! Power-Coaching-Tage gingen mit Rekordbeteiligung zu Ende

Von wegen, die Menschen denken heute bloß an sich: Etliche sind bereit, sich zu engagieren. Männer. Vor allem aber auch Frauen. Letztere tun dies seit Jahrzehnten in karitativen Organisationen, in der Schule ihrer Kinder oder in der Kita. Politisch sind Frauen allerdings längst noch nicht so stark beteiligt wie Männer. Das soll sich im Landkreis Würzburg ändern: Durch vier Power- und Coaching-Tage wurden Frauen ermutigt, in der Kommunalpolitik mitzumischen.

Früher wurde das kommunalpolitische Feld anstandslos den Männern überlassen, erinnerte Landrat Eberhard Nuß, der am Samstag vor 160 Frauen aus dem Landkreis den letzten Power- und Coaching-Tag eröffnete. „Als ich 1984 in den Gemeinderat von Bergtheim gewählt wurde, war der komplett frauenfrei“, so Nuß. Das sei selbst den Männern zu viel gewesen. Sie bemühten sich, Frauen zu finden, die sich bei der Kommunalwahl 1990 aufstellen ließen. Das sei auch gelungen: „Doch bei der Auszählung im März herrschte blankes Entsetzen, denn es wurde keine einzige Frau gewählt.“ Erst 1996 hielten die ersten drei Bergtheimerinnen Einzug in den Gemeinderat.

Sich vor Ort für die Caritas, Diakonie oder AWO zu engagieren, ist wichtig. Doch wer neue Projekte oder strukturelle Veränderungen durchsetzen will, muss in die Politik gehen. Eben dies ist für viele Frauen die Hauptmotivation, sich zur Wahl zu stellen. „Ich möchte etwas in unserem Ort bewegen“, erklärte zum Beispiel Doris Winkler, die erstmals für die SPD in Veitshöchheim kandidiert. Dass es gerade als Frau „Power“ erfordert, kommunalpolitisch aktiv zu sein, ist Winkler klar: „Man muss lernen, seinen Mund aufzumachen.“ Um sich durchzusetzen. Und gegen Stereotype anzugehen.

Stellen sich Frauen quer, machen sie Zicken. Während Männer „für Problembewusstsein sorgen“. Trägt eine Frau einen Konflikt mit einer anderen Frau aus, ist sie „stutenbissig“. Während ein Mann in der gleichen Situation „mannhaft“ konkurriert. Auf solche Abwertungen müssen Frauen gefasst sein, erklärte Kommunikationstrainerin Inge Bell. Sie gab am Samstag viele Tipps, wie sich Frauen in solchen Situationen geschickt verhalten. Das Wichtigste sei, zu benennen, was gerade passiert. Also zu sagen: „Das ist eine Abwertung.“ Und zu betonen, wie das wirkt: „Das macht mich wütend.“ Danach sollte klar ausgedrückt werden, was man sich wünscht. Zum Beispiel einen fairen Umgang.

Getagt wird am Abend

Dasselbe gilt, wenn sich jemand in digitalen Medien danebenbenimmt. Was immer wieder vorkommt, wie die Teilnehmerinnen am Samstag bestätigten. Für Daniela Behrens, Leiterin der Gleichstellungsstelle des Bundesfrauenministeriums und Gastrednerin beim letzten Coaching-Tag, ist der Umgang im weltweiten Netz ein Grund dafür, warum Frauen den Weg in die Politik scheuen. „Derzeit ziehen sie sich wieder eher zurück, weil die Debatten in den sozialen Netzwerken so aggressiv sind“, konstatierte die SPD-Frau. Aber auch die Rahmenbedingungen in der Kommunalpolitik verhinderten Engagement: „Zum Beispiel die Tatsache, dass meist abends getagt wird.“

Durch die Nachrichten über den Klimawandel werden viele junge Frauen wachgerüttelt und beginnen, sich zu engagieren, erklärte Behrens: „Sie stehen überall an der Spitze der Fridays for Future-Bewegung.“ Das sei gut: „Doch sie engagieren sich nicht in der Politik.“ Eben das hat nach den Analysen der ausgebildeten Journalistin zur Folge, dass sich die von Frauen oft kritisierte politische Kultur, zum Beispiel was die mitunter sehr hart geführten Debatten betrifft, nicht ändert. Behrens: „Erst ab einem Frauenanteil von 30 Prozent in einem politischen Gremium besteht eine Chance, die Kultur von innen heraus zu verändern.“

Dass es nach wie vor in erster Linie Frauen sind, die Kinder erziehen, den Haushalt führen und sich um pflegebedürftige Angehörige kümmern, verhindert ebenfalls eine aktive kommunalpolitische Beteiligung. Auch davon berichteten viele Teilnehmerinnen. „Dass ich jetzt in Rente bin, gibt mir Freiraum“, äußerte Krimhild Hornschuch, die in Unterpleichfeld für die CSU kandidiert. Schon bei der letzten Wahl hatte Hornschuch den Mut gehabt, sich aufstellen zu lassen: „Doch ehrlich gesagt war ich froh, dass ich es nicht gepackt hatte, denn damals waren die Kinder noch zu Hause und ich war noch berufstätig.“

Politik hat Vorrang

Bei Männern haben Beruf und Politik oft Vorrang vor Familienarbeit. Auch diese Tatsache, hieß es beim Coaching-Tag, muss gesehen werden, wenn darüber diskutiert wird, wie mehr Frauen in die Politik münden könnten. Dass sich vor allem Frauen um die Familie kümmern, ist laut Behrens der Tatsache geschuldet, dass man auf ihr Gehalt leichter verzichten kann, weil sie weniger verdienen als der Mann. Gerade hier müsse sich etwas ändern, forderte Behrens mit Blick auf niedrig entlohnte Jobs im sozialen Bereich im Vergleich zu Jobs in der Autoindustrie: „Es kann nicht sein, dass das Schrauben an Autos mehr wert ist als das Erziehen von Kindern.“

Insgesamt beträgt die Frauenquote im Freistaat, was Engagement in der Kommunalpolitik anbelangt, derzeit nur 25 Prozent. Nicht einmal in jeder zehnten Kommune gibt es Behrens zufolge eine Oberbürgermeisterin oder eine Landrätin. Diese Zahlen zeigten, wie wichtig es ist, dass Carmen Schiller, Gleichstellungsbeauftragte am Landratsamt Würzburg, die Power- und Coaching-Tage organisierte. Behrens: „Das ist wirklich großartig, dass Sie das machen, ganz herzlichen Dank dafür!“