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15.03.2010

Marias »ver-rückte« Familienwelt
Wie geht es Kindern mit einem psychisch erkrankten Elternteil?

Mit einem schwierigen Thema beschäftigten sich in der Veranstaltungsreihe „forum jugendhilfe“ des Kreisjugendamtes ca. 75 Fachkräfte, Kommunalpolitiker und interessierte Bürger: Die Situation von Kindern mit einem psychisch erkrankten Elternteil.

Maria ist 12 Jahre, hat zwei kleine Geschwister (Jan, 5 und Elke, 7 Jahre), lebt in einer kleinen Gemeinde im Landkreis Würzburg. Die Eltern sind geschieden. Die Mutter ist allein für die Erziehung der Kinder verantwortlich. Sie ist krank – psychisch krank. Sie liebt ihre Kinder und ihre Kinder lieben die Mutter. Durch ihre psychisch verursachten (manisch-depressiven) Stimmungsschwankungen kann die Mutter phasenweise oft nicht den Haushalt richtig führen. Frühstück, Pausenbrot, warmes Essen machen, Wäschepflege und Wohnungsreinigung, die Förderung und Erziehung ihrer Kinder verhindert die psychische Erkrankung trotz medikamentöser Therapie. Jan wird oft verspätet aus dem Kindergarten abgeholt, Elke hat oft ihre Hausaufgaben nicht und Marias Leistungen in der Schule verschlechtern sich rapide.
Immer häufiger muss Maria als Älteste auf ihre Geschwister aufpassen, Einkaufen, Kochen und die Kinder zu Bett bringen – insbesondere dann, wenn die Mutter depressiv und niedergeschlagen oder wieder völlig chaotisch ist. Sie ist es auch, die das Familienleben nach außen immer wieder als „heile Welt“ darstellen muss – auch will die Zwölfjährige nicht, dass Mutter und Kinder voneinander getrennt werden.

„Nach den Ergebnissen des Bundes-Gesundheitssurveys (2004) erkrankt etwa jeder dritte erwachsene Deutsche im Laufe eines Jahres an einer psychischen Störung. Das sind über 16 Millionen Menschen. Tendenz: steigend“, informiert Prof. Jürgen Deckert, Direktor der Uniklinik für Psychiatrie. „Viele unserer stationären Patienten haben Familie, haben minderjährige Kinder. Oft können sie in einem guten Netz von medizinischer und sozialer Unterstützung ihren Familienalltag durchaus bewältigen.“

Diese Erfahrung macht auch Hermann Gabel als Leiter des Amtes für Jugend und Familie: „Im Zusammenwirken von Medizin, Sozialpsychiatrie und Jugendhilfe können Elternteile mit einer psychischen Erkrankung durchaus verantwortlich für ihre Kinder sorgen. Das Familiensystem muss Unterstützung von verschiedenen Stellen erfahren. Das Jugendamt ist hier allerdings auch gefordert, das Kindeswohl engmaschig zu beurteilen und darauf zu achten, dass es den Kindern gut geht. Hierbei ist es wichtig, dass die betroffenen und nicht nur die nicht betroffenen Eltern mit uns offen und kooperativ zusammenarbeiten und Hilfen auch tatsächlich annehmen.“

Hilfestellungen für Maria und andere Kinder in ähnlichen Situationen zeigte der Diplom-Psychologe Andreas Schrappe vom Evang. Beratungszentrum (EBZ) Würzburg auf, der zurzeit das Dreijahres-Projekt „Gute Zeiten – Schlechte Zeiten“ leitet. Das unterfrankenweite Projekt hilft betroffenen Kindern und Eltern. Es gibt Informationen an Fachkräfte in Beratungsstellen, sozialen Diensten, Schulen, Bezugspersonen und wurde erst durch eine Förderung durch die Aktion Mensch ermöglicht.

„Kinder und Jugendliche können nicht verstehen, was eine Psychose, Depression, Manie oder Suchterkrankung ist, und warum der Elternteil sich so anders zu ihnen verhält. Sie schämen sich für das sonderbare Verhalten ihrer Mutter oder ihres Vaters und trauen sich nicht, Freunde nach Hause einzuladen oder überhaupt davon zu sprechen. Sie versuchen, den erkrankten Elternteil im Haushalt oder in der Erziehung zu ersetzen, und spüren erst später, dass sie viel zu früh erwachsen geworden sind“, erläutert Schrappe die Situation von Kindern psychisch erkrankter Eltern.
Und wie kann jetzt Maria, ihren Geschwistern und der Mutter geholfen werden? Müssen die Kinder von ihrer Mutter getrennt werden und wachsen in Pflegefamilien und Heimen auf? Wird die Mutter wieder so krank, dass sie stationär behandelt werden muss?
Wichtig können die ambulante Beratung durch den Sozialpsychiatrischen Dienst und die kontinuierliche ärztliche Behandlung der Mutter sein. Entlastende Faktoren für die Mutter kann eine sozialpädagogische Unterstützung im Hinblick auf die Kinder bieten. Für die Kinder gibt es in Würzburg ein Angebot des EBZ: eine Gruppe, speziell für Kinder von psychisch erkrankten Eltern, wo gemeinsam mit anderen Kindern über die Situation in den jeweiligen Familien gesprochen werden kann. Außerdem kann das soziale Umfeld aus Kindergarten, Schule und Nachbarschaft stützende und schützende Funktionen erfüllen und Berührungsängste abbauen.

Die Diskussion machte deutlich, dass diese Kinder nicht alleine gelassen werden dürfen und Krankenkassen, Bezirke und Jugendämter hier eine gemeinsame Verantwortung haben.

Nähere Informationen beim Evangelischen Beratungszentrum (EBZ) Würzburg, Stephanstrasse 8, 97070 Würzburg (Tel. 0931/305010). Projekt-Homepage: www.wuerzburger-projekt.de.
Buchtipp: „Sonnige Traurigtage“ Illustriertes Kinderfachbuch (Schiri Hohmeier/Andreas Schrappe) Mabuse-Verlag