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22.03.2021

Sozialausschuss berät über »Sichtbares Frauenhaus« in Giebelstadt
Grundsatzdebatte im Kreistag für Juli geplant

Die Einschränkungen der Corona-Pandemie haben das Thema häusliche Gewalt wieder ins Bewusstsein gerufen. Die kriminalistische Auswertung zur Partnerschaftsgewalt zählt im Jahr 2019 114.903 Fälle von Gewalt gegen Frauen im häuslichen Umfeld. Das Dunkelfeld ist noch viel größer. Das Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales schätzt, dass alleine in Bayern jährlich 90.000 bis 140.000 Frauen (inkl. Dunkelfeld) betroffen sind. Gleichzeitig sind die Plätze in Frauenhäusern, die gewaltbetroffenen Frauen und ihren Kindern einen Schutzraum bieten, sehr knapp. Bei 6.000 Anfragen kann nur jede vierte Frau aufgenommen werden. Daher überlegt der Landkreis Würzburg gemeinsam mit dem Sozialdienst Katholischer Frauen (SkF) die Einrichtung eines Frauenhauses mit möglichem Standort in Giebelstadt.

Gute Fördersituation für die Schaffung von Frauenhausplätzen

Bereits 2020 hat sich die Kreispolitik intensiv für die Erweiterung der Schutzplätze in Würzburg ausgesprochen und war bereit mit den Kostenträgern der Region 2 des Bezirks Unterfranken die Mehraufwendungen zu übernehmen. Die Übergangslösung des Frauenhauses des AWO Bezirksverbandes Unterfranken e.V. mit insgesamt 10 Schutzplätzen sowie die spätere Erweiterung auf 12 Schutzplätze nach erfolgtem Umbau des derzeitigen Frauenhauses wurde befürwortet. Der Landkreis Würzburg trägt mit der Region 2 anteilig die Kosten für den Betrieb der bereits bestehenden Frauenhäuser und der Erweiterung des Frauenhauses des AWO Bezirksverbandes Unterfranken e.V. (ab Januar 2021: 10 Plätze, ab Umzug in das umgebaute Gebäude, voraussichtlich 2023: 12 Plätze), soweit eine staatliche Förderung hierfür gewährt wird.

Landrat Thomas Eberth betont, dass die Fördersituation für die notwendige Errichtung weiterer Schutzplätze sehr gut ist und daher die Notwendigkeit des Ausbaus in der Region diskutiert und beschlossen werden muss. „Dieses Thema muss in enger Abstimmung mit der Region 2 in die öffentliche Debatte. Auch die Landkreise dürfen sich nicht hinter der Stadt Würzburg verstecken und müssen über die mögliche Schaffung von Angeboten diskutieren“, so der Landrat. 

Über das Bundesinvestitionsprogramm „Gemeinsam gegen Gewalt gegen Frauen“ (2020-2023) kann sich der Landkreis Würzburg vorstellen auch weitere Schutzplätze mit neuem Konzept zu erarbeiten und in enger Abstimmung mit den Kostenträgern zu errichten.

Im Sozialhilfeausschuss wurde das innovative Konzept eines „Sichtbaren Frauenhauses“ vorgestellt und beraten. Geplant ist eine Weiterentwicklung der Konzeption zusammen mit den Kostenträgern (Landkreise Würzburg und Kitzingen, Stadt Würzburg) bis Juli, sodass ein Grundsatzbeschluss im Kreistag gefällt werden kann.

Das „Sichtbare Frauenhaus“ – innovatives Konzept für mehr Lebensqualität

Das klassische Frauenhaus ist ein anonymes, verdecktes Haus, bei dem zum Schutz der betroffenen Frauen der Standort für Außenstehende unbekannt ist. Damit gehen aber auch Einschränkungen einher: Gewaltbetroffene müssen sich verstecken, die Bewohnerinnen können keinen Besuch empfangen und eine Vertragsunterzeichnung, etwa zur Eröffnung eines Bankkontos, ohne offizielle Meldeadresse ist in Deutschland nicht möglich.

„Gewalt muss nicht versteckt werden und die betroffenen Frauen haben ein Recht darauf sichtbar zu leben, wenn sie das wollen“, sagt Franziska Boes, Leiterin des Frauenhauses des SkF in Würzburg. Das Konzept des „Sichtbaren Frauenhauses“ setzt an dieser Stelle an und bietet die Möglichkeit, die Lebensqualität der Bewohnerinnen und ihrer Kinder zu erhöhen.

Das „Sichtbare Frauenhaus“ ist in zwei Bereiche geteilt: Einem geschützten Wohnbereich, der nur für die Bewohnerinnen und ihre Kinder zugänglich ist und einem teil-öffentlichen Bereich mit Büros, Beratungsstellen, Therapie- und Begegnungsorten. Durch die Anbindung an die soziale Infrastruktur des jeweiligen Standortes (Kindergärten, Jugendtreffs, Schulen) können die Kinder der Betroffenen einfacher in einen geregelten Tagesablauf übergehen, der bei der Bewältigung von traumatisierenden Gewalterfahrungen wichtig ist. Auch besteht die Möglichkeit den Wohnraum bedarfsgerecht für Frauen mit jugendlichen Kindern zu gestalten.

Das Modell des „Sichtbaren Frauenhauses“ wurde bereits in Fürth, Germering, Espelkamp und Lübeck umgesetzt und erste Erfahrungswerte zeigen, dass mit der Sichtbarkeit nicht automatisch auch eine zusätzliche Gefährdung einhergeht.

Denn die Anbindung an die unmittelbare Wohnumgebung hat einen positiven Effekt: Erfahrungen zeigen, dass wachsame Nachbarn Gefahrensituationen verhindern, indem sie bei verdächtigen Beobachtungen die Polizei alarmieren.

Giebelstadt als möglicher Standort

Da außerhalb von städtischen Gebieten die Geheimhaltung eines Frauenhausstandortes schwierig ist, käme für den Landkreis Würzburg das Konzept des „Sichtbaren Frauenhaus“ in Frage. Als ein möglicher Standort ist der ehemalige Bauhof in Giebelstadt im Gespräch. Durch die Lage im gemischten Quartier ist die Nähe zur bewohnten Nachbarschaft gewährleistet und Giebelstadt verfügt über die nötige Nahversorgung, um den Standort für die Bewohnerinnen sinnvoll betreiben zu können. Um zu dokumentieren, wie ein solches Haus aussehen könnte, hat das Architekturbüro Menig & Partner erste Entwürfe erarbeitet.  Diese zeigen einen Gebäudekomplex mit drei Häusern auf dem Gelände des Bauhofs, wobei nur eines davon als Frauenhaus ausgebaut werden könnte.

Grundsatzdebatte für Juli geplant

Bis der Bau des Frauenhauses realisiert werden kann, stehen noch mehrere Planungsschritte an. Bisher haben bereits mehrere Vor- und Koordinierungsgespräche stattgefunden. Mit Beschluss des Sozialausschusses wurde die Geschäftsbereichsleiterin Nina Opfermann beauftragt gemeinsam mit den Kostenträgern die Konzeption weiterzuentwickeln, sodass im Juli eine Grundsatzdebatte im Kreistag über den Bau eines „Sichtbaren Frauenhauses“ in Giebelstadt geführt werden kann.

„Schließlich sind wir keine Experten in dem Gebiet und brauchen verlässliche Aussagen unserer Partner zum Thema Sichtbares Frauenhaus, um es dann ergebnisoffen im Kreistag zu debattieren“, waren sich die Kreisrätinnen und Kreisräte des Sozialausschusses einig.