Seiteninhalt

22.01.2018

WLAN statt Tischkicker - Experten diskutierten beim 21. forum jugendhilfe über Jugendhilfe im Zeitalter der Neuen Medien

Früher war ein Jugendzentrum „cool“, wenn es einen tollen Tischkicker hatte. „Heute ist es für Jugendliche wichtig, dass sie ein schnelles WLAN vorfinden“, so Klaus Rostek, Jugendhilfeplaner im Jugendamt des Landkreises Würzburg. Dass junge Leute heute so viel Zeit mit virtuellen Medien verbringen, mögen Ältere bedauern – wo bleiben da die „echten“ Erlebnisse? Doch Smartphone und Internet gehören zur Lebenswirklichkeit junger Menschen dazu. Deshalb kommt auch die Jugendhilfe an diesem Thema nicht vorbei.

Sinn und Zweck von Jugendhilfe ist es, jungen Menschen ein förderliches Umfeld zu bieten, in dem sie psychisch und physisch gut heranwachsen können. Jugendhilfe greift also nicht nur dann ein, wenn ein junger Mensch Probleme in seiner Familie hat oder gar auf die schiefe Bahn geraten ist, betonten Experten beim 21. „forum jugendhilfe“, an dem 85 Fachleute und Kommunalvertreter aus Stadt und Landkreis Würzburg und darüber hinaus teilnahmen. „Sozialraumorientierte Jugendhilfe 2.0“ war der Fachtag überschrieben, zu dem Geschäftsbereichsleiterin Eva-Maria Löffler auch zwei Mitarbeiterinnen des Bayerischen Landesjugendamt (ZBFS) aus München begrüßte.

Lebensumfeld soziale Medien

Der Titel weist auf zwei Tatsachen hin. Zum einen bedeutet moderne Jugendhilfe längst nicht mehr, sich mit einem bestimmten „Fall“ eines Jugendlichen zu beschäftigen, der - warum auch immer - in eine schwierige Lebenslage geraten ist. „Wir sprechen heute vom ‚Fall im Feld’“, betonte Hermann Gabel, Leiter des Fachbereichs Amt für Jugend und Familie - Sozialpädagogische Dienste. Das „Feld“, in dem sich Jugendliche heute bewegen, ist gleichzeitig mehr als der konkrete Ort, in dem sie wohnen, in dem sie zur Schule gehen und nach der Schule Freunde treffen. Das weltweite Netz, also die „Welt 2.0“, gehört zum Sozialraum eines jeden Jugendlichen unabdingbar dazu.

Wer das ignoriert, kann Jugendliche heute nicht mehr erreichen, betonte Klaus Rostek. So bedienen sich Teenager einer völlig anderen Art und Weise, um sich zu informieren und miteinander zu kommunizieren. Zu jenen Zeiten, als der Kickertisch das unbestrittene Highlight im Jugendzentrum war, wurde mit Handzetteln auf das nächste Event, etwa die nächste Disco, hingewiesen. Inzwischen können Jugendliche mit Flyern kaum noch etwas anfangen. Selbst Homepages sind für viele schon „out“. Was wo los ist, erfahren sie über soziale Medien.

Seit inzwischen zehn Jahren arbeitet das Kreisjugendamt nach dem Konzept der Sozialraumorientierung. Das kommt bei den freien Trägern der Jugendhilfe sowie bei den Gemeinden im Landkreis sehr gut an, erfuhren Studierende der Würzburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften (FHWS) bei zwei Recherchen im Auftrag des Jugendamtes.

Wobei die freien Träger in ihrer eigenen Arbeit den Sozialraum ebenfalls in den Fokus nehmen. Allein durch ihre Struktur ist die Idee „Sozialraumorientierung“ sogar meist essenziell im Konzept der Verbände verankert, zeigte Andreas Schrappe von der Würzburger Diakonie auf.

Engagierte Bürger prägen die Sozialräume

Überall im Landkreis gibt es Menschen, die sich freiwillig für die Diakonie, die Caritas, das Rote Kreuz oder andere Wohlfahrtsverbände engagieren. Damit tragen diese Ehrenamtlichen zu lebendigen sozialen Räumen bei. Sozialräume, so Schrappe, werden in erster Linie von Bürgern geprägt, die sich da, wo sie leben, dafür engagieren, dass die Lebensbedingungen gut bleiben oder gar besser werden. Man denke zum Beispiel an die vielen freiwilligen Bemühungen, Flüchtlinge zu integrieren. Schrappe warnte in diesem Zusammenhang vor zu viel und zu vorschneller Professionalität im Sozialraum: „Die Menschen warten nicht unbedingt darauf, dass wir kommen und sie beglücken.“

Kritisch diskutiert wurde während des Fachtags, wie viel „Wissenschaftlichkeit“ in die sozialraumorientierte Jugendhilfe einfließen sollte. Für Dr. Dieter Kulke, Professor für Sozialwissenschaften an der FHWS, hat es Vorteile, wissenschaftlich zu hinterfragen, ob eine Maßnahme im Sozialraum tatsächlich das bringt, was man sich erhofft hat. Das ist nicht immer der Fall, verdeutlichte er am Beispiel eines Familienzentrums.

Zweifellos haben Familienzentren positive Effekte. Hier begegnen sich Menschen, die sonst nichts miteinander zu tun hätten. Eltern, die ihre kleinen Kinder in die Krippe des Zentrums bringen, treffen zum Beispiel Senioren, die hier ihren Mittagstisch haben. Doch die Ausstrahlung in den Sozialraum ist einer Kulke vorliegenden Untersuchung zufolge gering: „Es gab insgesamt nicht mehr private und nachbarschaftliche Kontakte.“

Noch über einen zweiten Punkt wurde während des Fachtags kontrovers debattiert. Ist es noch legitim, von einer „Sozialraumorientierten Jugendhilfe“ zu sprechen?

Wer den Begriff des „Sozialraums“ ernst nimmt, kann die Menschen, die in diesem Raum leben, nicht länger separieren, betonte Prof. Dr. Jürgen Burmeister von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Heidenheim. Laut dem Leiter des Studiengangs „Soziale Dienste der Jugend-, Sozial und Familienhilfe“ müssten bei Maßnahmen im Sozialraum alle dort lebenden Menschen berücksichtigt werden. Jugendliche ebenso wie Senioren, Familien ebenso wie Menschen mit einem Handicap.

Das 21. „forum jugendhilfe“ wurde vom Jugendamt des Landkreises Würzburg in Kooperation mit der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Heidenheim und der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt veranstaltet.