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06.12.2017

Bevor etwas Schlimmes passiert - Unterfränkische Kinderschutzkonferenz

Die 22-Jährige konnte nicht mehr. Kaum hatte sie ihr dreiwöchiges Baby fertiggemacht, schrie ihr 14 Monate alter Sohn. Hatte sie dessen Bedürfnisse gestillt, meldete sich der Säugling erneut zu Wort. So ging das ständig. Der Allgemeine Sozialdienst (ASD) wurde auf die Misere aufmerksam und vermittelte der Mutter eine Unterstützung durch den Koordinierenden Kinderschutz (KoKi) im Landkreis Würzburg. „Seit Wochen kam sie nicht mehr aus ihrer Wohnung, sie war verzweifelt“, so Christine Dawidziak-Knorsch vom KoKi.

20. Forum Jugendhilfe

Mit dem Förderprogramm „KoKi – Netzwerk frühe Kindheit“ stärkt der Freistaat Bayern den Schutz von Kindern. Das Tätigkeitsfeld der KoKi im Landkreis Würzburg stellte Christine Dawidziak-Knorsch vor 100 Teilnehmern aus Unterfranken beim 20. Forum Jugendhilfe im Landratsamt Würzburg vor. „In diesem Jahr hatten wir bereits Kontakt zu 66 Familien“, so die Sozialpädagogin. 41 Familien wurden längerfristig begleitet. Die Beratung und Begleitung ist grundsätzlich freiwillig. Eltern wird somit die Angst genommen, dass etwas gegen ihren Willen geschehen könnte. „Gerade mit der Freiwilligkeit machen wir gute Erfahrungen“, so Dawidziak-Knorsch. „Unsere Familien möchten wirklich etwas verändern.“

Mobiles Elterncafé „Babytalk“

KoKi vermittelt nicht nur Unterstützungsangebote wie Familienhebammen oder ehrenamtliche Familienpaten. Mit dem mobilen Elterncafé „Babytalk“ kommen die Kinderschutzfachfrauen direkt zu jungen Müttern und Vätern vor Ort. „Babytalk dient dazu, die Erziehungskompetenzen der Eltern zu stärken“, erläuterte Barbara Hofmann-Grande vom KoKi-Team. Zwei Stunden lang macht das Elterncafé jeweils in einer Kita im Landkreis Station. An Thementischen diskutieren Eltern zum Beispiel über die Herausforderungen, die das Trotzalter mit sich bringt.

Schreibaby-Beratung

Ein weiteres freiwilliges Kinderschutz-Angebot für Eltern aus Stadt und Kreis Würzburg stellt die Schreibaby-Beratung des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) dar. Babys, die stundenlang brüllen und auch nachts extrem unruhig sind, bringen ihre Eltern zur Verzweiflung, so Giuliana Carminati-Bina von der SkF-Erziehungsberatungsstelle. Dort werden 145 Schreibaby-Familien pro Jahr beraten. Es kann vorkommen, dass Eltern in ihrer Not den Säugling schütteln, oft mit fatalen Folgen: „Ein Drittel aller Schreibabys stirbt an den Folgen der Misshandlung, ein Drittel wird schwerbehindert, nur ein Drittel hat Glück und überlebt unbeschadet.“

Während die Zusammenarbeit der KoKi-Kräfte und der SkF-Beraterinnen mit den Eltern auf rein freiwilliger Basis beruht, müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jugendamtes auch dann für das Kindeswohl eintreten, wenn die Eltern eine „Einmischung“ ablehnen.

Damit begeben sich die Kinderschutzexperten des Landkreises immer wieder in extrem heikle Problemfelder hinein, so Hermann Gabel, Fachbereichsleiter im Amt für Jugend und Familie - Sozialpädagogische Dienste am Landratsamt Würzburg. Die Arbeit sei in den vergangenen Jahren schwieriger geworden: „Wir erleben immer häufiger Gewaltbereitschaft seitens der Eltern, was bis zur persönlichen Bedrohung unserer Mitarbeiter gehen kann.“

Kindesmisshandlungen erkennen helfen

Während der Kinderschutzkonferenz wurde deutlich, dass es selbst für Experten schwierig ist, im konkreten Fall einzuschätzen, ob eine Kindesmisshandlung vorliegt. Hier leistet die Kinderschutzambulanz in München seit dem Jahr 2011 wertvolle Hilfe. Ärzte und Jugendämter können Bilder von Verletzungen über ein geschütztes Portal hochladen und von den Experten der Ambulanz begutachten lassen. Diese schätzen rechtsmedizinisch ein, ob eine Verletzung tatsächlich auf einen Unfall zurückzuführen ist oder ob sie mit großer Wahrscheinlichkeit durch Gewaltanwendung zustande kam. Ambulanzleiterin Prof. Dr. Elisabeth Mützel plädierte in Würzburg für sorgfältige Diagnosen zur Abklärung einer Kindesmisshandlung. „Durch unsaubere Diagnosen wird Kindesmisshandlung oft übersehen“, so die Rechtsmedizinerin. Doch auch das Gegenteil komme vor: Eine unfallbedingte Verletzung wird als Kindesmisshandlung eingeschätzt.

Hilfe wirkt am besten, wenn Eltern mitwirken

Dass Kinderschutz eine alles andere als einfache Sache ist, bestätigte Ministerialrätin Isabella Gold, Leiterin des Referats „Jugendpolitik“ im Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration: „Die Abwägungen sind im Einzelfall schwierig.“ Erschwerend hinzu kommt die Skepsis gegenüber den Jugendämtern: „Diese sind jedoch keine Kinderklaubehörde, sondern Dienstleister, die tolle Hilfen anbieten.“ Dabei bemühten sich die Ämter, eng mit den Eltern zu kooperieren: „Denn dann wirkt die Hilfe am besten“. Zugute kommen die Unterstützungsangebote vor allem Eltern in überfordernden Lebenssituationen. Das betrifft Scheidungen ebenso wie psychische Erkrankungen.

Nicht jedes Kind kann geschützt werden

In einer von Tanja Pesamosca (Heimaufsicht der Regierung von Unterfranken) moderierten Expertenrunde fassten die Akteure ihre Positionen und Wünsche für den Kinderschutz nochmals zusammen: Jugendämter, ergänzte der Berliner Kinder- und Jugendhilfeexperte Prof. Dr. Dr. Reinhard Wiesner, fühlen sich oft nicht nur von Eltern, sondern auch von Politik und Medien unter Druck gesetzt. Wenn ein Kind an den Folgen einer Misshandlung stirbt, stünden sämtliche Behörden im Kreuzfeuer der Kritik. „Doch die dann immer wieder geäußerten Erwartungen an die Jugendämter sind nicht erfüllbar“, betonte Wiesner. Kinderschutz sei kein technologisch plan- und beherrschbarer Vorgang: „Es ist schlicht unmöglich, jedes einzelne Kind zu schützen.“

Kinderschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Ein Jugendamt alleine könne dies sowieso nicht tun, unterstrich Kreis- und Bezirksrätin Elisabeth Schäfer vom Landkreis Würzburg: „Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“ Jeder sei gefordert, genau hinzuschauen und zu handeln. Dabei sei es auch nicht mit der reinen Meldung getan, so Jugendamtsleiter Hermann Gabel: „Wenn uns Schulen oder Ärzte anrufen und einen Verdacht mitteilen, fragen wir nach, was sie denn schon getan hätten, um das Kind zu schützen.“ Beim Kinderschutz dürfe sich niemand „herausschleichen“. Auch wenn es unangenehm sei, sich mit Eltern auseinanderzusetzen, die ihr Kind offensichtlich nicht gut behandeln.

Das 20. Forum Jugendhilfe zum Thema „Kinderschutz geht alle an“ wurde erstmals als „Unterfränkische Kinderschutzkonferenz“ organisiert. Bei der Vorbereitung und Durchführung kooperierte das Kreisjugendamt mit dem Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration und der Regierung von Unterfranken. Neben Vertretern der öffentlichen und der freien Jugendhilfe nahmen Sozialarbeiter, Lehrer, Richter, Ärzte, Vertreter von Verbänden und Mitarbeiter von Beratungsstellen teil.

Das 21. „Forum Jugendhilfe“ findet am 17. Januar im Würzburger Landratsamt unter der Überschrift „Sozialraumorientierte Jugendhilfe 2.0“ statt.