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07.06.2023

»Zwei Landkreise, aber eine Region mit gleichen Zielen«: Der Landkreis Würzburg und der Main-Tauber-Kreis wollen länderübergreifende Kooperation vertiefen

Die Folgen einer überalternden Gesellschaft, Fachkräftemangel, die Mobilität der Zukunft im ländlichen Raum und nicht zuletzt die Unterbringung einer steigenden Zahl von Flüchtlingen: Die Herausforderungen der kommunalen Verwaltung sind derzeit enorm groß – und an Ländergrenzen halten sich diese nicht.

Der Landkreis Würzburg in Bayern und der Main-Tauber-Kreis in Baden-Württemberg werden durch rund 100 Kilometer Landesgrenze verbunden. Als eine große, lebenswerte Region zwischen Main und Tauber sind die Berührungspunkte auf Ebene der Gemeinde- und Landkreisverwaltungen deshalb vielfältig. Diese länderübergreifende Kooperation soll künftig weiter intensiviert werden – um sich gegenseitig zu unterstützen und anstehende Herausforderungen gemeinsam anzupacken. Vertreterinnen und Vertreter der beiden Landratsämter in Würzburg und Tauberbischofsheim, allen voran die beiden Landräte Christoph Schauder und Thomas Eberth, sowie Bürgermeister der Grenzgemeinden trafen sich daher kürzlich im Gewölbekeller in Röttingen zum fachlichen Austausch.

Unterbringung von Flüchtlingen: „Wir sind einen halben Schritt vor der Lage“

Als Gastgeber brachte Bürgermeister Hermann Gabel gleich bei seiner Begrüßung eines der derzeit brennendsten Themen aufs Tableau: Die Unterbringung einer stetig steigenden Zahl von Geflüchteten bringe aktuell viele Kommunen an ihre Grenzen. Der Leiter des Geschäftsbereichs Arbeit und Soziale Angelegenheiten am Landratsamt Würzburg Fabian Hollmann stützte diese Aussage mit Zahlen: In Unterkünften seien im Landkreis Würzburg derzeit rund 1200 Personen untergebracht, viele weitere hätten zusätzlich in Privatwohnungen Platz gefunden. Der Wohnungsmarkt sei so gut wie leergefegt, weitere Unterkünfte nur sehr schwer zu finden.

Auf Baden-Württembergischer Seite würden derzeit ebenfalls laufend Unterkünfte akquiriert – sofern vorhanden. Mit rund 750 Geflüchteten habe man nun eine Belegung von 95 Prozent der aktuellen Kapazitäten erreicht. Aus Mangel an Möglichkeiten habe man bereits eine Anlage aus Wohncontainern in Betrieb nehmen müssen, eine weitere sei in Planung, fügte die Leiterin des Dezernats Jugend, Soziales und Gesundheit, Elisabeth Krug an. Landrat Christoph Schauder fasste die Situation im Main-Tauber-Kreis mit einigem Ernst in der Stimme zusammen: „Wir sind aktuell einen halben Schritt vor der Lage. Das bedeutet aber nur, dass wir Menschen aktuell nicht in Turnhallen unterbringen müssen. Diesen Schritt versuchen wir mit allen Mitteln zu verhindern.“

Landrat Thomas Eberth stimmte dem zu und fügte an: „Die Solidarität vor Ort war und ist noch immer groß.“ Leider diskutiere man derzeit nicht die Integration von Geflüchteten, sondern nur darüber, wie man noch mehr Menschen unterbekomme. „Das Vorgehen in Deutschland ist ohne Plan und ohne Weitsicht“, waren sich die Landräte Eberth und Schauder einig. „Wir brauchen eine langfristige Einwanderungspolitik in Deutschland als ersten Schritt – und zwar bald. Die einzige nachhaltige Lösung wäre aber eine für ganz Europa!“

Fachkräftemangel an allen Ecken und Enden

Ein großes Problem sei in beiden Landkreisen der Mangel an Fachkräften. Nicht nur für die Bearbeitung der Antragsflut auf Asylbewerberleistungen sei man in beiden Landratsämtern händeringend auf der Suche nach geeignetem Personal. Der Arbeitsmarkt werde vor allem durch die demografische Entwicklung insgesamt schwieriger. Dem Landratsamt im Main-Tauber-Kreis bereite es in nahezu allen Berufsgruppen verstärkt Probleme, Personal zu für sich gewinnen und zu binden, berichtete Personal- und Finanzdezernent Torsten Hauck. Die Überalterung der Gesellschaft hat dabei nicht nur das Ausscheiden einer geburtenreichen Generation aus dem Arbeitsleben zur Folge, sondern programmiere auch einen stark erhöhten Pflegebedarf vor. In den nächsten zwei Jahren werde die Zahl der Pflegebedürftigen in Bayern und Baden-Württemberg um mehr als 50 Prozent steigen, brachte Gesundheitsdezernentin Elisabeth Krug vor.

Im Landkreis Würzburg stehe man natürlich vor denselben Problemen, pflichtete die Vorständin des Kommunalunternehmens (KU) Eva von Vietinghoff-Scheel bei. Tatsächlich sehe man sich unter den gegebenen Umständen derzeit jedoch „noch gut“ aufgestellt. Mit der 2022 eröffneten Pflegeschule angegliedert an die Main-Klinik in Ochsenfurt etwa biete man hochqualitative Aus- und Weiterbildung an. Die Pflegeberatung und ein neu eröffnetes Musterhaus für barrierefreies Bauen würden viele Themen in den Bereichen Versorgung und Wohnen abdecken.

Am Landratsamt Würzburg begegne man der schwierigen Personalsuche derzeit mit einer groß angelegten Recruiting-Strategie, die ein eigens dafür eingerichteter Fachbereich umsetze, erläuterte der Leiter der Stabsstelle Landrat Michael Dröse. Mit einem Programm zur Aus- und Weiterbildung für Führungskräfte aus den eigenen Reihen gebe es zudem ein spezielles Programm. Auch das löse den Mangel jedoch nur bedingt. „Wir müssen auch als Verwaltungen künftig Prozesse noch mehr optimieren und interkommunal mehr kooperieren“, so Dröse. Ohne den „Blick über den Tellerrand“ werde man die Aufgaben der öffentlichen Hand sonst nicht mehr bewältigen können.

Enges Miteinander auch bei grenzübergreifendem ÖPNV und Tourismus

Des Weiteren stand das Thema ÖPNV auf der Tagesordnung. Dezernentin Ursula Mühleck erläuterte die Herausforderungen, vor denen die Landkreise derzeit in Sachen Tauberbahn stehen: „In den zurückliegenden Monaten kam es zu massiven Verspätungen. Derzeit erarbeitet die Westfrankenbahn ein neues Fahrplankonzept, um die Situation zu verbessern.“

Landrat Schauder berichtete zudem, dass es dem Main-Tauber-Kreis und dem Neckar-Odenwald-Kreis gemeinsam mit dem Verkehrsministerium Baden-Württemberg gelungen ist, den bisherigen Probebetrieb auf der Frankenbahn zum Fahrplanwechsel im Dezember in einen Regelbetrieb zu überführen. „Die Frankenbahn ist für den Main-Tauber-Kreis und den Landkreis Würzburg von elementarer Bedeutung. Die Strecke verbindet die zwei ICE-Knotenpunkte Stuttgart und Würzburg miteinander“, sagte Landrat Christoph Schauder.

Der Tourismus spielt laut Dezernentin Ursula Mühleck in beiden Landkreisen eine wichtige Rolle. Da dieser nicht an Landkreisgrenzen haltmache, habe sich der Main-Tauber-Kreis gemeinsam mit sechs Kooperationspartnern darauf verständigt, eine touristische Dachorganisation im nördlichen Baden-Württemberg zu gründen. „Innerhalb dieser Organisation soll beispielsweise der Radtourismus gemeinschaftlich neu gedacht werden“, erklärte Dezernentin Ursula Mühleck.

Landrat Christoph Schauder betonte, dass die hervorragende Zusammenarbeit mit den bayerischen Tourismusverbänden durch den neuen Zusammenschluss nicht geschmälert werde. „Wir sind sehr froh über das enge Miteinander.“

Wunsch nach regelmäßigen Treffen auf beiden Seiten

„Wir sind zwei Landkreise aus unterschiedlichen Bundesländern, aber eine Region mit gleichen Zielen und Herausforderungen“, betonten Landrat Christoph Schauder und Landrat Thomas Eberth übereinstimmend. In Anbetracht der zahlreichen gemeinsamen Handlungsfelder kam bei beiden Landräten aus Main-Tauber und Würzburg, aber auch den anwesenden Bürgermeistern und Mitarbeitenden der beiden Landratsämter der Wunsch auf, dass man die grenzübergreifenden Treffen auf regelmäßiger Basis stattfinden lassen wolle.