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07.07.2015

Flucht ins Ungewisse - Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge im Landkreis Würzburg

Über die Einzelschicksale, Erfahrungen und Perspektiven der unbegleiteten Minderjährigen in einem der 96 Jugendamtsbezirke berichtet Sozialrat Hermann Gabel, Leiter des Amtes für Jugend und Familie im Landkreis Würzburg:

Sie kommen aus Syrien, Eritrea, Somalia, Nigeria, Afghanistan oder Libyen – zu Land oder auf dem Wasser – mit der Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa und weg von Tod, Leid und Armut. Jeden Tag hören, sehen und lesen wir vom Flüchtlingsstrom, gesteuert von skrupellosen Schleuserbanden. Unter diesen Menschen sind auch Kinder und Jugendliche, die ohne Eltern tausende von Kilometern auf sich nehmen: unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.

3400 kamen allein 2014 in Bayern an. Während Erwachsene und Familien in so genannten Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden, kümmern sich die Jugendämter nach dem Haager Minderjährigenschutzabkommen um diese Zielgruppe.

Jugendliche Flüchtlinge in der Obhut des Landkreises Würzburg

14-, 15-, 16 Jährige, zumeist männliche Jugendliche werden uns zur Entlastung der grenznahen Landkreise und Städte wöchentlich zugeteilt. 2014 mussten wir für 41 dieser jungen Flüchtlinge eine Unterbringung finden, meist in sozialpädagogisch betreuten Wohnformen. Noch zu Jahresbeginn lag die Zuweisungsquote bei 61 minderjährigen Flüchtlingen für den Landkreis Würzburg, für die nach Ankunft ein Vormund bestellt werden muss. Mittlerweile geht das Bayerische Sozialministerium von 10.000 Minderjährigen aus, die ohne Eltern in unser Bundesland kommen. 1.030 müssen die Städte und Landkreise in Unterfranken in 2015 aufnehmen; jetzt also aktuell 122 der Landkreis Würzburg.

Die Jugendhilfe Creglingen unterstützt die Integration

Wir haben im letzten Halbjahr fünf Wohngruppen in Stadt und Landkreis in Kooperation mit freien Trägern aufgebaut, Plätze in besonders geschulten Pflegefamilien geschaffen. Eine dieser Wohngruppen wird von der Jugendhilfe Creglingen Abteilung Mobile Jugendbetreuung Würzburg, einem Jugendhilfeträger aus dem nahen Baden-Württemberg getragen, der sich bereits in seinen Anfängen vor fast 60 Jahren um junge Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg gekümmert hat.

18 junge Menschen aus verschiedenen Nationalitäten werden dort von sozialpädagogischen Fachkräften betreut, die den Alltag strukturieren, sich um Deutschkurse, Schul- und Praktikumsplätze kümmern, mit Sportvereinen und Helferkreisen kooperieren, um die Integration voranzubringen.

Tragische Schicksale

Schaut man sich die Einzelschicksale an, dann ist da der 15-jährige B. aus Nigeria, der seit zwei Jahren auf der Flucht ist und miterleben musste, wie seine Mutter neben ihm von der Terrormiliz geköpft wurde, Vater und Geschwister sind „verschwunden“. Erst jetzt ist es ihm möglich, und nur in vertrauter Umgebung, die schrecklichen Erlebnisse zu verarbeiten.

Oder M. aus Somalia, 16 Jahre, der vor der Zwangsrekrutierung als Kindersoldat geflüchtet ist und auf den geschossen wurde. Unter Todesangst vertraute er seine weitere Zukunft den Schleusern an. Noch heute schläft er nur mit Licht, in Kleidern, Schuhe und der gepackte Rucksack steht bereit. Er hat noch nicht wirklich realisiert, dass er nun in Sicherheit ist.

Das Leben in einer Wohngemeinschaft ist für viele einerseits positiv, andererseits sind die jungen Männer auch Sozialstress und Konflikten zwischen Ethnien und Personen ausgesetzt, die sich auch manchmal entladen. Sie haben viel erlebt auf ihrer Flucht und warten jetzt auf eine neue Chance und eine positive Lebensperspektive. Viele stehen schon 10 Minuten vor Beginn des Deutschkurses hochmotiviert vor dem Schulraum; wenige andere müssen täglich neu motiviert werden. Wichtig sind klare Regeln und Strukturen. Diese bieten Sicherheit und Ordnung im Tagesablauf, wie z.B. das gemeinsame Einkaufen und Kochen.

 Sprache als wichtiger Schlüssel zur Integration

Die Mobile Jugendbetreuung Würzburg setzt auch im Bereich Freizeit auf eine normale jugendgemäße Betätigung: Sport, Tischtennis, Fahrrad fahren, Musik hören, Ausgehen, Kontakt mit Einheimischen, der Kultur, um Land und Leute besser zu verstehen. Die Sprache ist ein wichtiger Schlüssel. An der Versorgung mit Berufsschulplätzen mangelt es derzeit noch etwas in der Region. Das neue Schuljahr bringt Verbesserungen. Trotzdem bleibt die Unsicherheit, wie über den Asylantrag entschieden wird – das dauert oft viel zu lang.

Nach ihrem Aufenthalt in der Wohngemeinschaft sollen die jungen Männer in kleinen Verselbstständigungs-WGs zu zweit bzw. viert weiter in die Gesellschaft integriert werden.

Woran fehlt es darüber hinaus?

Das Jugendamt des Landkreises und die Träger der Jugendhilfeeinrichtungen suchen derzeit akribisch nach Wohnraum, vornehmlich im Landkreis Würzburg, um die Verselbstständigung und Integration der jungen Männer voranzutreiben. Hier könnte der eine oder andere Tipp sich hilfreich erweisen.

Auch wären Paten, die den jungen Menschen, die sich schon etwas integriert haben, ein bis zweimal die Woche zur Seite zu stehen, eine feine Sache. Im Bereich der Freizeitgestaltung und auch im Rahmen der Nahbereichs-Mobilität werden Fahrräder bzw. Spenden benötigt.

Die Jugendhilfe Creglingen hat für diesen Zweck ein Spendenkonto eingerichtet:

Bank für Sozialwirtschaft, IBAN: DE33 6012 0500 0007 7117 0, BIC: BFWDE33STG

Kontaktadresse: Mobile Jugendbetreuung Würzburg, Herr Möginger, Felix-Dahn-Straße 8, 97072 Würzburg, Tel.: 0931/3535872 oder Mail mob.wuerzburg@jugendhilfe-creglingen.de.

„Die meisten dieser minderjährigen Jungen und vereinzelt auch Mädchen haben tausende von Kilometern hinter sich gebracht, ohne Eltern und Verwandte. Ihnen sollte hier – nach der Flucht und der Ungewissheit, wo sie landen werden, eine reale Chance in Sicherheit geboten werden. Zum Gelingen können viele kleine Dinge von vielen Mitmenschen an vielen kleinen Orten dazu beitragen. Es geht uns alle an!“, betont Hermann Gabel, Leiter des Amtes für Jugend und Familie im Landkreis Würzburg.

Autor/in: Hermann Gabel